Hotel

Ordnung muss sein.

Klara stammte aus Prag und war Doktor der Psychiatrie. Ihre Anerkennung lag noch zur Bearbeitung bei den zuständigen Ämtern in Deutschland. Sie war eine offene und quirlige kleine Person, von gerade mal ein Meter sechzig und dachte nicht im Traum daran, Däumchen drehend auf die Zulassung als Ärztin zu warten. So kam es, dass sie sich in einem Hotel als Zimmermädchen einstellen ließ und sie fand dies äußerst spannend. Was konnte man doch dabei für außergewöhnliche Menschen und Situationen kennenlernen!

So auch an einem schönen Maitag. Die ersten, ihr zugeteilten Hotelzimmer waren von ihr schon auf Vordermann gebracht worden. Das Übliche: Aufräumen, Betten machen, Bad putzen, Staub wischen, durchsaugen, Kontrollgang, fertig. Doch im nächsten Zimmer blieb sie erstaunt stehen. Dass es bewohnt war wusste sie, aber das war nur an den ordentlich hingestellten Utensilien im Badezimmer zu erkennen. Die Betten waren akkurat gemacht worden, das Badezimmer wies keinen Wasserspritzer auf, obwohl sie an der feuchten Luft und dem Geruch von Shampoo und Duschgel erkennen konnte, dass hier geduscht worden war. Die Hand- und Badetücher hingen in militärisch anmutender Ordnung an ihrem dafür vorgesehenen Platz. Eigentlich gab es in diesem Zimmer nichts zu tun. Vielleicht den nicht vorhandenen Staub wegwischen und den sauberen Teppich absaugen? „Ordnung muss sein!“ murmelte sie und begann vorschriftsmäßig ihre Arbeit. Immer wieder schweifte Klaras Blick zu den gemachten Betten. Es ließ ihr keine Ruhe, vorsichtig hob sie die Tagesdecke an und staunte nicht schlecht, als sie sah, dass das Laken an den Ecken eine wie mit dem Lineal gezogene Linie aufwies. Sie hatte richtig üben müssen, um dem strengen Blick der Hausdame zu genügen. Aber das hier war nicht zu übertreffen. Zu gerne hätte Klara gewusst, wer dieses Zimmer bewohnte. Der Zufall sollte ihr bald zu Hilfe kommen.

Als Klara einige Zeit später den Flur entlang zum Fahrstuhl strebte, um ihre wohl verdiente Pause anzutreten, kamen aus just jenem ordentlichen Zimmer zwei junge Männer heraus und gesellten sich zu ihr, um auf den Fahrstuhl zu warten. Dieser kam und alle drei stiegen ein. Verstohlen sah sie sich um. Nun, wenn man ein Meter sechzig misst, dann ist fast jeder Erwachsene größer als man selbst. Aber diese beiden Burschen waren sehr, sehr groß und breit noch dazu. Dass es Sportler sein mussten war ihr sofort klar. Leise fingen die Männer an, sich zu unterhalten. Aha…russisch…das konnte sie. Lächelnd sah sie zu ihnen auf und grüßte freundlich. Erfreut, dass jemand ihre Sprache sprach, entstand ein kleines Gespräch. Sie seien Brüder, erzählten sie, und dass sie aus der Ukraine zu einem Boxkampf nach Deutschland gekommen seien. Zwar würde nur einer von ihnen boxen, aber sie seien immer zusammen unterwegs. Das stärkt den jeweils boxenden Bruder, betonten sie. Lächelnd sprach sie die Brüder auf das ordentliche Zimmer an. „Das müsst ihr nicht aufräumen, dafür bin ich da.“ Darauf erhielt sie eine verblüffende Antwort. „Nein, das ist eine Sache des Respekts. Ordnung muss sein.“

„Wo habt ihr denn gelernt, wie man Betten so ordentlich macht?“ fragte Klara.

„Beim Militär“, kam es unisono zurück.

Der Fahrstuhl war in der Hotelhalle angekommen, die Brüder stiegen mit einem freundlichen Gruß aus. Die beiden werden es schaffen, die werden bestimmt mal Champions, dachte Klara. Und…sie sollte Recht behalten!

Klara hat längst ihre Stelle als Psychiaterin in einer deutschen Klinik angetreten. Die beiden Brüder hat sie nie vergessen. Klara ist Boxfan geworden. Sie verpasst keinen Boxkampf „ihrer Jungs.“ Und manchmal fragt sie sich: Ob sie wohl im Hotel immer noch ihre Betten selbst machen?

Bildquelle: pixabay.com

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